ROUTINEN UND RITUALE
Trott rockt
Über erfolgreiche Menschen und ihre Gewohnheiten
Von Aiko Onken
„Vier Stunden schläft der Mann, fünf die Frau, sechs ein Idiot“ – Napoleon Bonaparte war für markige Worte zu haben. Wenn der große Feldherr auch log (und zwischendurch gern mal im Sattel einnickte), so passt sein Motto doch nahtlos in den Reigen der Selbstaussagen, mit denen Prominente von heute ihren Erfolg (v)erklären. Vom Spitzensportler bis zum CEO: Nach ihren Geheimnissen befragt, berichten die Arrivierten dieser Welt von Entschlossenheit, Fleiß und Disziplin – und von individuellen Angewohnheiten zum Tagesbeginn, die von liebenswert bis leicht psychotisch reichen. Was ist dran am Morgenritual?
VON TIERCHEN UND PLAISIERCHEN
Die Liste ist so lang, dass sie Bücher füllt. Margaret Thatcher stand um 5:00 Uhr auf, um die Radiosendung „Farming Today“ zu hören – die tägliche Dosis Landleben und Heimdekoration. Steve Jobs stellte sich nach dem Aufstehen die Frage, was er tun würde, wenn der kommende Tag der letzte seines Lebens wäre. Claus Hipp schließt im Morgengrauen eigenhändig die Wallfahrtskapelle seines Wohnsitzes auf.
High Performer neigen offenbar dazu, den Tag mit einem selbstverordneten Reboot zu beginnen – einer wiederkehrenden Tätigkeit, die nicht nur Stabilität und Orientierung verspricht, sondern in der individuellen Ausprägung zugleich die eigene Identität bestätigt. Hier wird die Macht, wenn nicht gar die Magie des Rituals beschworen. Könnte man denken, stimmt aber nicht ganz.
WO RITUAL DRAUFSTEHT, IST ROUTINE DRIN
Rituale im klassischen Sinne sind in ihrem Ursprung kultisch: Sie sind formelle, festliche, mithin zeremonielle Handlungen. In der Regel zeichnen sie sich durch drei Charakteristika aus:
1. Rituale sind etwas Besonderes, sie liegen außerhalb des Alltags. Was täglich passiert, ist gewohnt und gewöhnlich – und fühlt sich auch alltäglich an.
2. Rituale sind symbolisch. Sie weisen über sich selbst hinaus und haben ein übergeordnetes Ziel, zum Beispiel die Bewältigung eines Übergangs im Leben: Taufe, Bar-Mizwa, Hochzeit, Bestattung. Starke Gefühle werden so in einen wiedererkennbaren Kontext gebracht.
3. Rituale dienen einem Wir-Gefühl, der Verständigung und dem Zusammenhalt einer Gemeinschaft. Einer Kultur gehört derjenige an, der ihre Rituale kennt.
„Die besten Ideen kommen unter der Dusche: kein Mythos.“
Was heißt das für unsere Morgenmenschen? Ihre Macken sind weniger magisch als gedacht. Wer jeden Morgen auf den Tennisplatz geht (Anna Wintour) oder Karate macht und masturbiert (Björk), der praktiziert kein Ritual, sondern eine Routine.
TROTT ROCKT
Entwertet das unsere liebgewonnenen Gewohnheiten? Ganz und gar nicht, Trott ist toll. Alltagsroutine und vertraute Handlungen bieten Sicherheit und Struktur. Regelmäßig wiederkehrende Vorgänge machen außerdem kreativ: Sie versetzen das Gehirn in einen Default-Modus, in dem wir Erlebnisse verarbeiten und die Gedanken schweifen lassen. Die besten Ideen kommen unter der Dusche: kein Mythos.
Große Fans der Automatisierung waren William James und Sigmund Freud. James war der Überzeugung, dass der Geist für die höheren Dinge befreit ist, wenn der Großteil des Alltags auf Autopilot läuft. Freud ging so weit, sich von seiner Gattin die Zahncreme auf die Zahnbürste streichen zu lassen.
WAS DU HEUTE KANNST BESORGEN
Und warum gleich am Morgen? Dass es tatsächlich Sinn ergibt, den Tag mit Routine zu beginnen, legt eine US-amerikanische Studie nahe. 71 % der Befragten, die jeden Morgen ihr Bett machen, beschrieben sich selbst als glücklich. 62 % derer, die Selbiges nicht tun, bezeichneten sich dagegen als unglücklich.
Man darf Korrelation nicht mit Kausalität verwechseln, aber die Logik des Bettenmachens ist bestechend: Der Tag beginnt mit einem kleinen Erfolgserlebnis und dem Gefühl, etwas geschafft zu haben. Wer morgens gleich ins Erledigen geht, fängt die Aufschieberitis gar nicht erst an.
